Der Durst Palästinas

Analyse

Theoretisch gibt es im Westjordanland ausreichend Wasser. Doch den Großteil davon verbraucht Israel für die Siedlungen in den besetzten Gebieten. Das führt auf palästinensischer Seite vor allem in den Sommermonaten zu enormer Knappheit. Die Zivilgesellschaft spricht von klarer Diskriminierung.

GAZA, (Xinhua) - Palästinenserin füllt Flaschen und Behälter mit Trinkwasser

Als Israel 1967 das Westjordanland und den Gazastreifen besetzte, kassierte das Militär eine Reihe jordanischer und ägyptischer Gesetze ein, die bis dahin gegolten hatten. Das israelische Militär übernahm die komplette Zuständigkeit für die Wasserversorgung in den besetzten Gebieten. Es legte Quoten für die palästinensische Grundwasserentnahme fest und verhinderte, dass neue Brunnen gegraben oder bestehende repariert werden konnten. Dies markierte den Beginn einer systematischen Politik, der lokalen palästinensischen Bevölkerung den Zugang zu ihren eigenen Wasserressourcen zu verwehren. Israel sicherte sich auch die Kontrolle über die Vorräte an Oberflächenwasser, insbesondere über den Jordan.

Das Westjordanland verfügt seit jeher über reichlich Wasserressourcen. Denn aufgrund seiner gebirgigen Topographie liegt es in einer Anreicherungszone, in der erhebliche Mengen Regenwasser in den Boden gelangen und die großen Grundwasserspeicher (Aquifere) speisen. Die israelische Verwaltung beschränkte jedoch den Zugang zu den Wasserressourcen. Da die israelischen Behörden die Wartung von Grundwasserbrunnen zunehmend unterbanden, verschlechterte sich die Wasserversorgung immer mehr.

Wasser für das illegale Siedlungsprojekt

Israel übertrug die Wasserversorgung in den besetzten Gebieten seiner Nationalen Wassergesellschaft Mekerot, die ein diskriminierendes System der ungleichen Verteilung einführte. Heute steht den israelischen Siedler*innen im Westjordanland pro Kopf der Bevölkerung fünf- bis achtmal mehr Wasser zur Verfügung als den Palästinenser*innen.

Während diese in den Sommermonaten unter extremer Wasserknappheit leiden, weil die Wasserversorgung nur sporadisch erfolgt, bestehen in den nahe gelegenen illegalen Siedlungen eine ununterbrochene Versorgung und der Luxus von Swimmingpools und Sprinkleranlagen für die Rasenflächen.

1993 unterzeichneten Israel und die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) das Friedensabkommen von Oslo, das Hoffnung auf eine friedliche Lösung des jahrzehntelangen Konflikts weckte. 1995 folgte das Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen (Oslo II) mit einer Gültigkeit von fünf Jahren. Es enthält den Artikel 40 über „Wasser und Abwasser“. Darin wurde festgelegt, dass die Palästinensische Autonomiebehörde jährlich 118 Millionen Kubikmeter aus den drei Grundwasserspeichern des Westjordanlandes (West-, Nordost- und Ost-Aquifer) erhält, sowie weitere 78 Millionen Kubikmeter, die speziell aus dem Ost-Aquifer erschlossen werden. Das Abkommen räumt Israel aus denselben Vorräten 483 Millionen Kubikmeter ein, was eigentlich der vierten Genfer Konvention über die Nutzung von Ressourcen durch die Besatzungsmacht widerspricht.

Die palästinensische Zivilgesellschaft sieht in Oslo II einen weiteren Schritt zur Verfestigung der illegalen Kontrolle Israels über die palästinensischen Wasserressourcen und zur „Legalisierung“ von deren ungerechter Nutzung und Verteilung. Das Abkommen führte letztlich zu einer akuten Wasserknappheit für die im Westjordanland lebenden Palästinenser*innen. Selbst wenn die festgelegten Mengen damals ausreichend gewesen wären, sind seit der Unterzeichnung des fünfjährigen Interimsabkommens fast drei Jahrzehnte vergangen. Seitdem hat sich die palästinensische Bevölkerung fast verdoppelt, die zugeteilten Mengen aber sind unverändert geblieben. Im Jahr 2021 entnahmen die Palästinenser*innen den Aquiferen im Westjordanland lediglich 105 Millionen Kubikmeter Wasser und lagen damit weit unter den 196 Millionen Kubikmeter, die ihnen in Oslo II zugesprochen worden waren.

Israel entnimmt aus den Grundwasserleitern im Westjordanland laut Weltbank unterdessen jährlich mindestens 664 Millionen Kubikmeter, was direkt dem Projekt des stetigen Baus illegaler Siedlungen zugutekommt. Tatsächlich dürfte diese Menge sogar noch höher ausfallen. Israel kontrolliert mindestens 85 Prozent der Grundwasserressourcen im Westjordanland.

Darüber hinaus wurde mit dem Interimsabkommen von 1995 der Gemeinsame Wasserausschuss (Joint Water Committee, JWC) eingerichtet. Dieses Gremium setzt sich zu gleichen Teilen aus palästinensischen und israelischen Mitgliedern zusammen und war dazu befugt, alle palästinensischen Wasser- und Abwasserprojekte zu genehmigen oder abzulehnen. Da der JWC nur im Konsensverfahren entscheiden kann, bedeutet bereits eine Gegenstimme das Aus für ein vorgeschlagenes Projekt.

Für israelische Projekte gilt dies nicht, da Israel das Land besetzt hält und den illegalen Siedlungen erlaubt, Wasserprojekte nach eigenem Gutdünken durchzuführen. In gewissem Sinne ist der Gemeinsame Wasserausschuss, der einst ein positiver bilateraler Mechanismus für gegenseitiges Verständnis und Entwicklung zu sein schien, zu einem Instrument geworden, das die israelische Vorherrschaft über die Wasserressourcen aufrechterhält. Darüber hinaus müssen Projekte, die der JWC genehmigte, immer noch die israelische Zivilverwaltung passieren. Diese lehnt Projekte häufig ab oder lässt sie jahrelang, in manchen Fällen sogar jahrzehntelang auf ihre Genehmigung warten.

Israel verweigert den Palästinenser*innen somit bis heute ihr Recht auf Wasser. Dabei hat es sein Wassersystem erfolgreich ausgebaut, um den Bedarf der israelischen Bürger*innen sowohl auf seinem Hoheitsgebiet als auch in den Siedlungen im Westjordanland auf Jahrzehnte hinaus zu decken. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat zwar enorme Anstrengungen unternommen, um ihre Organisationsstruktur, ihren Rechtsrahmen und ihre Strategien im Wassersektor weiterzuentwickeln. Die Besatzung jedoch schränkte die international finanzierten Projekte stark ein.

Eine düstere Realität für Palästinenser*innen

Angesichts der vollständigen Kontrolle Israels über die palästinensischen Wasserressourcen sind die Palästinenser*innen in ihrer Wasserversorgung von der israelischen Mekerot abhängig. Im Grunde kaufen sie ihr Wasser selbst, und zwar zu extrem hohen Preisen. Doch lehnt Mekerot die Anträge auf eine Erhöhung der gekauften Mengen häufig ab, insbesondere in den Sommermonaten, wenn der Bedarf immens ist. Das Ergebnis ist ein durchschnittlicher palästinensischer Wasserverbrauch von nur 86 Litern pro Kopf und Tag, was unter dem international anerkannten Mindestwert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 100 Litern liegt.

Zahlreichen Gemeinden im Westjordanland verweigern die israelischen Behörden gar den Zugang zum Leitungsnetz oder zu Wasser- und Sanitäreinrichtungen, sodass der Wasserverbrauch auf bis zu 25 Liter pro Tag sinkt. Dies gilt insbesondere für das Gebiet C, das derzeit 63 Prozent der Gesamtfläche des Westjordanlandes ausmacht. Laut Oslo II fällt es unter die Verwaltungs- und Sicherheitszuständigkeit Israels, bis es „schrittweise in die palästinensische Zuständigkeit überführt“ wird. Letzteres wurde nie erfüllt, und ein Großteil der Bevölkerung in diesem Gebiet ist nun aufgrund der bestehenden restriktiven Politik Israels und der angekündigten Annexionspläne von Vertreibung und Enteignung bedroht. Die Gemeinden in diesen Gebieten werden daran gehindert, die grundlegendsten Wasser- und Sanitärinfrastrukturen wie Zisternen und Toiletten zu errichten, und sind stattdessen auf extrem teures Wasser aus Tanks angewiesen.

Trotz dieser düsteren Realität im Westjordanland verblasst sie im Vergleich zu der extrem schlechten Situation im Gazastreifen. Schon vor dem aktuellen Krieg, der zu massiven Zerstörungen der zivilen Infrastruktur geführt hat, galten aufgrund von Salzgehalt und Verschmutzung 97 Prozent des verfügbaren Wassers als für den menschlichen Verzehr ungeeignet. Die 16-jährige Belagerung und Blockade des dicht besiedelten Streifens hat den Bewohner*innen ihre Wasserrechte vorenthalten und die Durchführung von Infrastrukturprojekten zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung behindert, die zur Verbesserung der Situation beitragen sollten.

Ein weiteres Problem sind die klimatischen Veränderungen in der Region. Insbesondere Hitzewellen und unregelmäßige Niederschläge haben zu Wasserknappheit geführt, was die bestehenden Schwachstellen noch verschärft hat. Die Besatzungspolitik im Westjordanland verhindert jedoch mögliche Anpassungsmaßnahmen weitgehend, insbesondere für die am stärksten gefährdeten Gemeinden im Gebiet C. Dazu gehören die Pläne und Bemühungen der Regierung, die im Nationalen Anpassungsplan Palästinas, seinen national festgelegten Beiträgen zum Pariser Abkommen sowie anderen internationalen Verpflichtungen hervorgehoben werden.

Die strenge Besatzungspolitik behindert jedoch auch die Umsetzung einfacher gemeinschaftsbasierter Klimaanpassungsmaßnahmen wie das Sammeln von Regenwasser.

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober wurde die Welt Zeuge, wie das Land in seiner Reaktion und dem Krieg im Gazastreifen Wasser als Waffe einsetzt. Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant verkündete die berüchtigten Worte: „Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, keinen Treibstoff geben, alles wird geschlossen.“ Diese Form der kollektiven Bestrafung, die nach internationalem Recht zweifellos illegal ist, ist für die israelische Besatzung nicht neu. Insbesondere die Unterbrechung der Wasserversorgung setzte Israel in der Vergangenheit als Taktik ein, um gewaltlosen zivilen Ungehorsam der Palästinenser*innen zu unterdrücken, vor allem während der ersten Intifada.

Die Unterbrechung der Wasserversorgung im Gazastreifen und die unerträglichen gesundheitlichen Folgen für die Zivilbevölkerung machen deutlich, wie wichtig es ist, sich für das Recht auf Wasser als globales Gerechtigkeitsthema einzusetzen. Wasser als Waffe sollte niemals als akzeptable Taktik in bewaffneten Konflikten angesehen werden. Dies stellt eine fundamentale Verletzung des humanitären Völkerrechts dar.

Aus dem Englischen von Tobias Lambert.

Dieser Beitrag wurde am 13. März 2024 zuerst im Südlink-Magazin von INKOTA veröffentlicht.


Nidal Atallah ist palästinensischer Wasser-, Umwelt- und Klimaexperte. Er koordiniert das Programm für Umweltgerechtigkeit der Heinrich-Böll-Stiftung Palästina und Jordanien mit Sitz in Ramallah.